Ein Gastkommentar von Ernie Weiss
Rudi Assauer, der ehemalige Manager des Fußballvereins Schalke 04, ist an Alzheimer erkrankt und hat dies öffentlich gemacht. Mit der öffentlichen Diskussion über seine Krankheit, lernt dieser Promi mit seiner Krankheit umzugehen. Diesem Beispiel folgen nun auch ganz einfache unbekannte Menschen.
Eine Frau aus meinem Bekanntenkreis, ich nenne sie mal Gudrun, ist mit ihrer Krankheit auch in die Öffentlichkeit gegangen. Sie leidet unter einer „Lese-/Rechtschreibschwäche“. Wenn sie gezwungen wird, etwas vorzulesen, wird sie von Panikattacken gepackt. Selbstgeschriebenes möchte sie niemandem vorlegen, eine geringe Erleichterung erfuhr sie durch die Rechtschreibhilfen im Schreibprogramm ihres Computers. Leider liegen diese Programme nicht immer richtig. Gudrun versucht nun mit ihrer Krankheit umzugehen, indem sie Texte im Internet der Öffentlichkeit präsentiert und auf Rechtschreibfehler anderer hinweist. Diese Therapieform nennt man „Glashaustechnik“. Man kritisiert die Fehler anderer, obwohl man diese Fehler selber hat.
Ein anderer Bekannter, den nenne ich Michael, geht genauso vor. Michael würde von Menschen, die seinen Lebenslauf kennen lernen, schlicht als Versager bezeichnet werden. Michael hat sich in mehreren Selbständigkeiten versucht und ist gescheitert. Inzwischen hat er persönlichen kein Eigentum mehr, weil er alles seiner Frau überschrieben hat, damit der Gerichtsvollzieher bei ihm nichts mehr pfänden kann. Oft muss er sich vor Gericht behaupten, weil er von Gläubigern verklagt wird. Wird er darauf angesprochen, erklärt er mit großen treuherzigen Augen, dass er immer von miesen Geschäftemachern betrogen worden sei. Nicht er ist der Täter, sondern immer das Opfer. Die Versagerrolle will er sich und allen anderen nicht eingestehen, deshalb hält er unendlich viele Geschichten parat, mit denen er sich selbst darstellt, um von der Wahrheit abzulenken.
Michaels neuste Rolle ist die eines Journalisten. Über zweifelhafte Wege hat er sich einen Presseausweis verschafft, behauptet Chefredakteur einer Redaktion zu sein, die aber auch nur aus seiner Person besteht (von wem ist er dann der Chef?) und veröffentlicht Geschichten, die ganz oft nicht wahr sind. Seine Therapieform, mit der er sich und der Welt etwas vorgaukelt, heißt Münchhausensyndrom.
Gudrun und Michael folgen dem Beispiel von Herrn Assauer und gehen mit ihren Krankheiten und Realitätsverlusten in die Öffentlichkeit, um ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Gönnen wir es den beiden und tun weiterhin so, als ob man sie ernst nimmt.
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